ANDREA DEE / GOTTFRIED DISTL
LI|V/F|E IN THE CITY 1

ANDREA DEE / GOTTFRIED DISTL · LI|V/F|E IN THE CITY 1 · Videoobjekt, Eisen, Aluminium, Acryl · 1987

SpotEnvironment: Text, Video, Computergrafik, Stahl, Aluminium, Blei, Acryl, Krisenproduktion 1987

»Kommen Sie«, rief ich. »Sie zahlen 2 Mark und Sie sehen Bert und Püppi, einen Mann und eine Frau, ficken und bumsen. Kommen Sie, wagen Sie es.« / Vögel erschienen im Plan der Evolution vor cirka 140 Millionen Jahren. Taubenvögel entwickelten sich erst in der jüngsten geologischen Epoche. Die Besiedelung unserer Städte durch die Felsentaube erfolgte in der Antike: die Vögel verließen ihre angestammten Brutplätze in den Klippen am Meer und begannen in den heiligen Stätten an der Küste zu nisten. / Und wenn Bhagwan sogar die Schmach des Häftlingsdaseins auf sich nimmt, dachte ich, dann werde ich es doch noch ertragen können, vor der Tür einer Peep-Show herumzustehen. / Bis heute ist die Taube Symbol für das Göttliche, den Frieden, den Heiligen Geist. Und bis heute stellt sie eine Verbindung der städtischen Zivilisation zur Natur dar. / In der Küche lag ein großes Brotmesser. Der Arm leuchtete wie der Halleysche Komet. Ich riß das violette Oberteil vom Körper und stach ins Fleisch. Der Tätowiermeister gegenüber ließ sich dadurch nicht stören. / »Ratten mit Flügeln« nennt eine Metapher die Stadttauben. Tatsächlich haben sich diese Vögel dem Leben im städtischen Raum weitgehend angepaßt: der hohen Sterblichkeitsrate durch Straßenverkehr und Umweltgifte begegnen sie mit besonders häufiger, an keine Paarungszeiten gebundener Vermehrung. / Und dann überkam mich eine große Ehrfurcht. Die Allgewalt des Erleuchteten heulte mit dem Sturm über die Reeperbahn. Ich begann zu sehen und zu verstehen. Sattrote und blauweiße Farbwelten schillerten über der Stadt. / Omne animal triste post coitum. Jedes Tier ist nach dem Geschlechtsakt traurig. Vielleicht regt sich in ihm, wie im Menschen, eine uralte Sehnsucht nach der vollkommenen ewigen Vereinigung, nach dem völligen Verschmelzen der Geschlechter, wie es vor Jahrmillionen den Einzellern im Urmeer gegeben war. Vielleicht betrübt die Tiere aber auch das Wissen um die Vergeblichkeit ihres Tuns. Vielleicht ahnen sie, daß sie, so sehr sie sich auch abmühen mögen, ein Tier an Fruchtbarkeit nie werden einholen können. © Andrea Dee / Gottfried Distl

Wir danken dem Österreichischen Kulturservice für seine Unterstützung.

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