Horst Gerhard Haberl
Einleitung
Die Treibhausatmosphäre einer postmodernen Kunstpraxis gipfelt in neo-barocken oder neo-dadaistischen Inszenierungen. Eine kultische Kunst im »Zeitstau« reflektiert den Manierismus unseres fin de siècle. Eine für die neuen Museen konzipierte Reservatkunst verstellt die Aussicht auf Utopien. Man verneint die Avantgarde und betreibt eine Archäologie der Gegenwart.
Die Essayisten, die sich in den siebziger Jahren meilenweit von der Praxis der Künstler entfernt hatten, können seit Beginn der achtziger Jahre aus dem unerschöpflichen Fundus der Kunstbetrachtung seit Vasari schöpfen. Sie deuten Relikte sattsam bekannter Ausgrabungen neu.
Doch wie Luciano Fontanas Schnitt in die Leinwand den konventionellen Bildraum öffnete oder die Wiener Aktionisten die Erweiterung der Malerei am eigenen Leib erprobten, arbeiten einige Künstler seit geraumer Zeit an den neuen Sprachmöglichkeiten der digitalen Kommunikationstechniken. Sie sind vorläufig die einzigen, die einer ausschließlich technologischen »Bitalisierung« zukünftiger Sprachformen durch ästhetische Konzepte – im Sinne einer »Biologisierung der Technik« – entgegenwirken.
Auf dem historischen Boden einer Secessionsbewegung vor hundert Jahren bereitet vielleicht diese »Junge Szene Wien« den Boden einer neuen »Freiheit der Kunst« vor. Sicher ist es kein »heiliger Frühling«, dafür eine bedeutsame Ernte der in den siebziger Jahren vorbereiteten Medienkunst.
Die hier vertretenen jungen Künstler/innen »dilettieren« nicht wie ihre Vorfahren im Umgang mit einer neu auf den Markt gekommenen – Hardware, sondern greifen voll in die Tastatur selbstverständlich gewordener Kommunikationsmedien. Sie entwickeln keine Strategien zur sozio-ästhetischen Bewältigung der Neuen Medien, vielmehr verwirklichen sie eine andere Auffassung von Zeit: Die elektronische Wirklichkeit ist für sie nur mehr Teilwirklichkeit im Umgang mit Kunst. Der grenzenlose elektronische Raum entgrenzt daher auch die tradierte Kunstauffassung. Hier geht es nicht mehr um »Grenzüberschreitungen«, Grenzen existieren nicht.
Objekthaftes zwischen bildender Kunst, Design und Architektur erfährt jetzt seine Erweiterung im multimedialen Raum künstlich simulierter »Übersinnlichkeit«. Unterhaltung wird zur »Überhaltung«. Eine Haltung der Kunst, die von ihrem Mythos lebt, wird deutlich abgelehnt. Der Archivbzw. Museumscharakter der Kunst wird radikal über Bord geworfen. Die neuen technologischen Sprachmöglichkeiten erfordern keine musealen Einfriedungen, sie kommunizieren außerhalb gebauter Mauern und innerhalb allgegenwärtiger Sprachflüsse. Musik- und Bildsprachen entspringen ein und derselben Zeichenwelt.
Die multimedialen Installationen, Medienperformances, Computer- und Videoarbeiten in dieser Ausstellung benützen den Museumsraum nur mehr als Ort der Begegnung, als Werkstatt zur Herstellung von Prototypen einer neuen ästhetischen Wirklichkeit, die auch außerhalb der Kunstreservate lebensfähig ist.
Insofern wird hier Kunst im öffentlichen Raum inszeniert – wobei die Straßen und Plätze gebauter Stadtarchitektur längst überholt sind. Der hier vorgeführte öffentliche Raum kennt keine Grenzen, er entsteht aus frei definierbaren Zeichen. Seine einzige Abgrenzung besteht darin, daß er künstlich ist.